Bei unruhigen Kindern, die den Unterricht in der Schule stören, wird heutzutage schnell der Verdacht auf die Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) geäußert. Insgesamt gelten drei bis fünf Prozent der Kinder im Schulalter aufgrund von ADHS als behandlungsbedürftig. Das sei allerdings nicht gleichzusetzen mit medikationsbedürftig, so die Kinderpsychiaterin Brigitte Hackenberg vom AKH Wien.
Laut Zahlen des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger haben Arzneimittel gegen ADHS Konjunktur: 2010 wurden die Kosten von 87.018 Rezepten für Mittel wie Ritalin und Strattera übernommen. Im Jahr 2006 waren es noch 48.712 Verordnungen gewesen. Damit ist die Zahl der Rezepte in den vergangenen fünf Jahren um 89 Prozent gestiegen. Jede zweite Verordnung erfolgt für Kinder unter 14 Jahre. Die Apothekerkammer bestätigte gegenüber ORF.at diesen Trend: Im Vergleich zu 2006 wurden 2010 um 75 Prozent mehr Packungen von Mitteln wie Ritalin, Concerta, Medikinet und Strattera in den Apotheken abgegeben.
Laut Zahlen des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger haben Arzneimittel gegen ADHS Konjunktur: 2010 wurden die Kosten von 87.018 Rezepten für Mittel wie Ritalin und Strattera übernommen. Im Jahr 2006 waren es noch 48.712 Verordnungen gewesen. Damit ist die Zahl der Rezepte in den vergangenen fünf Jahren um 89 Prozent gestiegen. Jede zweite Verordnung erfolgt für Kinder unter 14 Jahre. Die Apothekerkammer bestätigte gegenüber ORF.at diesen Trend: Im Vergleich zu 2006 wurden 2010 um 75 Prozent mehr Packungen von Mitteln wie Ritalin, Concerta, Medikinet und Strattera in den Apotheken abgegeben.
Erhöhtes Bewusstsein für ADHS
Der Anstieg der Verordnungen von ADHS-Medikamenten bedeutet für Hackenberg von der Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde am AKH Wien nicht, dass die Zahl der ADHS-Fälle zunimmt. Vielmehr sei das Bewusstsein für die Störung gestiegen, und daher werde sie häufiger erkannt. Bei Überweisungen durch andere Ärzte zeigt sich allerdings auch, dass ADHS in den vergangenen Jahren zu einer Modediagnose wurde. „Zehn bis zwanzig Prozent der Kinder haben Lernschwierigkeiten, das bedeutet nicht, dass sie eine Störung haben“, so Hackenberg gegenüber ORF.at.
Fehldiagnosen durch Spezialisten vermeiden
Verhaltensweisen, die für ADHS typisch sind, können auch andere Ursachen haben, zum Beispiel Depressionen, psychoreaktive Verhaltensstörungen und Ängste. Um eine Fehldiagnose zu vermeiden, rät Hackenberg bei Verdacht auf ADHS, nur zu Ärzten oder Psychologen zu gehen, die sich auf die Störung spezialisiert haben.
Für jedes Kind mit einer ADHS-Diagnose sollte ein individueller Behandlungsplan erstellt werden. Nicht alle Betroffenen brauchen Medikamente, betont die Kinder- und Jugendpsychiaterin. „Für manche reicht es, dass sie in der Schule in der erste Reihe sitzen und ein Konzentrationstraining besuchen“, so Hackenberg. In Verhaltens- oder Ergotherapien lernen Kinder, die Konzentration automatisch zu steuern. Teil des Behandlungskonzepts sollte auch die Beratung der Eltern und Betreuungspersonen sein, empfiehlt Hackenberg.
Trend zum Medikament
Im Vergleich zu einer Verhaltenstherapie bieten Mittel wie Ritalin und Concerta schneller Hilfe. Und der Druck, eine rasche Lösung zu finden, sei groß, sagt Erziehungsberaterin Martina Leibovici-Mühlberger. Immer wieder kommen Eltern zu ihr, die befürchten müssen, dass ihr Kind der Schule verwiesen wird, wenn sich das Verhalten im Unterricht nicht rasch verbessert.
Bildungswissenschaftler Wilfried Datler von der Universität Wien hält Medikamente gegen ADHS in bestimmten Fällen für vertretbar. Aus erziehungswissenschaftlicher Sicht ist es für Datler allerdings beunruhigend, dass sich die Öffentlichkeit mehr auf die biologischen Prozesse im Gehirn konzentriert als auf die inneren Belastungen von Kindern mit ADHS-Symptomen. Beispielsweise sei es viel einfacher, auf Krankenkassenkosten Medikamente wie Ritalin zu bekommen, als eine voll finanzierte Psychotherapie für Kinder, kritisiert Datler im ORF.at-Interview.
Verlockende Pille für mehr Leistung
Medikamente gegen ADHS wie Ritalin und Concerta steigern die Konzentrationsfähigkeit. Der Wirkstoff Methylphenidat gehört zu den amphetaminähnlichen Substanzen und unterliegt der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung. Sehr häufige Nebenwirkungen von Methylphenidat sind verminderter Appetit, Schlaflosigkeit und Übelkeit.
Die Optimierung der Hirnleistung übt auch einen Reiz auf Menschen ohne ADHS-Diagnose aus. Eine Umfrage unter 1.400 Forschern durch die Fachzeitschrift „Nature“ ergab 2008, dass ein Fünftel der Befragten schon leistungssteigernde Medikamente aus keinem medizinischen Grund genommen hatten, 62 Prozent davon Ritalin. Auch auf den US-amerikanischen Schulhöfen wird Berichten zufolge mit den Psychostimulanzien gehandelt.
USA: Ritalin schon für Vierjährige
US-Kinderärzte legen jetzt nahe, auch bei Vierjährigen Ritalin einzusetzen. Im Oktober 2011 erweiterte die Amerikanische Akademie der Kinderärzte ihre Diagnoseempfehlungen für ADHS. In Zukunft gelten die Richtlinien nicht mehr nur für Kinder im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren, sondern für Vier- bis 18-Jährige. Kinder sollen demnach früher mit Medikamenten und anderen Therapieformen behandelt werden.
Schon bisher wird ADHS in den USA häufiger festgestellt, aufgrund von breiter angelegten Diagnosekriterien als in Deutschland und Österreich. Insgesamt sollen in den USA mindestens zehn Prozent der Kinder im Schulalter von der Störung betroffen seien.
„Kinder werden an Umwelt angepasst“
Medikamente seien in bestimmten ADHS-Fällen sinnvoll, meint Hackenberg, „dennoch müssen wir uns als Ärzte bewusst sein, dass wir mit den Medikamenten die Kinder an die Umwelt anpassen anstatt die Umwelt an die Kinder“, so die Kinder- und Jugendpsychiaterin.
Hackenberg sieht größere psychosoziale Belastungen für Kinder, die ADHS-Symptome verstärken können, etwa große Schulklassen, überforderte Lehrer und berufstätige Eltern, denen es schwerfällt, den Kindern einen geregelten Tagesablauf zu bieten. „Kinder brauchen bessere Rahmenbedingungen“, so Hackenberg: durch Veränderungen im Schulsystem und mehr finanzielle Mittel für nicht medikamentöse Therapien sowie die Beratung der Eltern und Betreuungspersonen.
Claudia Zohner, ORF.at
No comments :
Post a Comment